Tripreport: Longyearbyen, Spitzbergen

Angekommen! 1300 Kilometer vom Nordpol entfernt in Longyearbyen – der nördlichsten, dauerhaft bewohnten Siedlung der Welt – auf dem 78. Breitengrad. Willkommen in der Arktis! Für insgesamt 5 Nächte blieben wir in Longyearbyen, sodass wir genug Zeit hatten die Stadt zwischen unseren täglichen Ausflügen in die karge Wildnis kennenzulernen. Und dieses Städtchen sorgte für die ein oder andere Überraschung, aber auch Besonderheit.

 

Longyearbyen, Spitzbergen | Der Anfang

Die Siedlung wurde offiziell zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den amerikanischen Unternehmer John Longyear mit dem Ziel des Kohleabbaus gegründet. Aufgrund der leichten Zugänglichkeit der Kohlevorkommen, sowie der sehr guten Qualität (noch heute wird die beste Kohle aus Spitzbergen für Audis Motorenschmieden genutzt) nahm man die unendliche Liste von Nachteilen trotz allem in Kauf. Natürlich ließen es sich die Russen nicht nehmen und gründeten ebenfalls eigene Städte auf Svalbard: Pyramiden und Barentsburg, welche heute verlassen sind. Doch schon vor dieser Zeit – ab Mitte des 16. Jahrhunderts lebten bereits Robben-, Wal, und Eisbärjäger auf der Inselgruppe Svalbard.

Eine der größten Nachteile war das sich bildende Eis ab Oktober, welches meist bis Ende Februar anhielt. In dieser Zeit war es nicht möglich die Insel, welche noch keinen Flughafen besaß zu verlassen. Es musste überwintert werden.

Das Kohlegeschäft lief aufgrund der immensen Kosten nie wirklich gut. Zusätzlich wurde im 2. Weltkrieg die Siedlung zerstört und musste erneut aufgebaut werden. Erst 1975 erhielt Longyearbyen seinen Flughafen und war somit ganzjährlich erreichbar.

 

Longyearbyen, Spitzbergen | Heute

Heute leben rund 2000 Einwohner dauerhaft in Longyearbyen. Der Kohleabbau ist stark zurückgegangen und wird nur noch in Grube 7 betrieben – die Minen 1-6 wurden stillgelegt, oder sind erschöpft. Der Großteil der geförderten Kohle wird für die Energieversorgung der Siedlung benötigt, denn hier, skurriler weise, steht das einzige Kohlekraftwerk Norwegens.

Neben dem Bergbau ist die Forschung (es gibt sogar eine Universität) sehr wichtig. Die Inselgruppe bildete sich auf Höhe des Äquators und bewegte sich, stetig wachsend, über Millionen Jahre bis zur heutigen Position. Das spannende hierbei ist, dass die einzelnen Stationen sich waagrecht als Sedimente abgesetzt haben, und nicht wie bspw. bei den Alpen im Zuge einer Kollision aufgetürmt haben. So trafen wir bei unseren Ausflügen mehrfach Forscher an, welche Bodenproben auf bestimmten Höhen entnahmen – da jeder Höhenmeter einem bestimmten Zeitabschnitt in der Geschichte der Erde zugeordnet werden kann.

Das Dritte Standbein Spitzbergens ist natürlich der Tourismus. Mit mehreren Flugverbindungen am Tag aus Oslo und Tromsö, sowie Kreuzfahrtschiffen die im Sommer Station vor der Insel machen wächst der Tourismus Jahr für Jahr mehr an. Es werden zunehmend Restaurants und Hotels gebaut und zahlreiche Guides und Touranbieter gründen Unternehmen.

War die Insel mit dem Kohleabbau noch extrem ärmlich, ändern Forschung und Tourismus das Stadtbild deutlich, sodass die Stadt heute sehr wohlhabend ist.

Die Stadt selbst wird heute ebenfalls von Gesellschaftsforschern beobachtet, denn knapp 2000 Menschen ist die Anzahl, die für eine gesunde soziale Gemeinschaft benötigt wird. Aus diesem Grund ist die Stadt auch mit allerlei Dingen ausgestattet, die sich sonst nicht finden lassen würden. So gibt es ein Kino, zahlreiche Restaurants inklusive einem erstklassigen Fine-Dining-Restaurant mit einem Weinkeller über 25,000 Flaschen, eine Bücherei, Museen, mehrere Cafés, einen großen Supermarkt und vielem mehr.

 

Longyearbyen, Spitzbergen | Kuriositäten

Viele Besonderheiten der Stadt lassen sich auf den Permafrost im Boden zurückführen. Alle Häuser stehen aus diesem Grund auf Betonpfeilern, alle Wasserleitungen sind deshalb über dem Boden, und sterben ist ebenfalls verboten. Richtig gelesen, denn bei plötzlichen Toden werden die Leichname auf das Festland geflogen, und bei „absehbaren“ (Altersschwäche) Toden die Menschen bereits vorab von der Insel geflogen. Der Hauptgrund hierfür ist, dass eine Verwesung im dauerhaft gefrorenen Boden nicht möglich ist. Dies ist besonders riskant, da so Krankheiten und Viren über Jahrhunderte konserviert werden. Auf dem einzigen und seit Jahrzehnten stillgelegten Friedhof der Insel befinden sich heute noch an der Spanischen Grippe verstorbene Leichname – gut für die Forschung, aber auch ein nicht zu verachtendes Risiko.

Wie das Sterben ist auch das gebären von Kindern auf der Insel nicht erlaubt. In Longyearbyen existiert lediglich ein Krankenhaus für Notfälle, weshalb schwangere Frauen knapp einen Monat vor dem erwarteten Geburtstermin auf das Festland geflogen werden.

Natürlich bringt ein Leben in der Arktis noch weitere Besonderheiten mit sich. So ist es außerhalb der Stadtgrenzen gesetzlich vorgeschrieben eine Waffe mit sich zu führen, um sich im Notfall gegen Eisbären wehren zu können. Diese können auch von Touristen in einem speziellen Geschäft ausgeliehen werden, sollte jemand mutig genug sein ohne einen Guide die Insel erkunden zu wollen. Natürlich dient die Waffe vorrangig nur zur Abschreckung, und nicht zur Tötung der geschützten Tiere.

Wie bereits erwähnt betreibt die Stadt ein Kohlekraftwerk, welches für Strom und Warmwasser sorgt. Ein Ausfall dieses Kraftwerks kann nur kurzzeitig überbrückt werden. Entsteht ein Schaden, welcher die Stromproduktion länger als 72 Stunden unterbrechen würde, muss die Insel evakuiert werden. Hierzu existiert ein Notfallplan mit SAS, welcher jedoch noch nie angewendet werden musste.

Letztlich bleibt noch ein Andenken an die Bergbau-Vergangenheit – denn um das Leben auf Norwegen bezahlbar zu machen, existieren keine Steuern auf Svalbard. Somit ist insbesondere Alkohol, welcher mit einer heftigen Luxussteuer auf dem Festland versehen ist, für norwegische Verhältnisse extrem erschwinglich. Da man in den frühen Bergbautagen natürlich auch nicht viel Besseres zu tun hatte, betrank man sich ausgiebig, weshalb eine Alkohol-Rationskarte eingeführt wurde. Diese besitzt heute noch jeder Einwohner und findet auch noch Anwendung – wenn auch bei normalem Konsum das Limit dieser Karte nicht erreicht wird. Touristen hingegen müssen zum Kauf von Alkohol ihr Flugticket vorweisen. Ebenfalls gilt zu bedenken, dass man sich in Longyearbyen nicht mit unendlich Alkohol eindecken und es zum Festland fliegen kann, denn als Sonderverwaltungszone muss man in Tromsö oder Oslo angekommen durch den Zoll.

Es gibt noch zahlreiche weitere interessante Sonderheiten in Longyearbyen die den Rahmen dieses Artikels sprengen würden, aber jeder der selbst mal nach Svalbard fliegen wird, kann sie für sich selbst entdecken und erleben.

 

Longyearbyen, Spitzbergen | Fazit

Longyearbyen bietet nur wenig Luxus. Klar gibt es einige schicke Hotels und tolle Restaurants, aber dies ist nicht vergleichbar mit dem was wir gewohnt sind. Ein Trip nach Svalbard ist immer ein Stückweit außerhalb der eigenen Komfortzone und macht es gerade deshalb so spannend. Ein Gefühl welches uns nie verlassen hat, selbst am letzten Tag, war das surreale. Alles was man in Longyearbyen tut wirkt aufgrund des Klimas (wir hatten bis -30 gefühlte Grad Celsius) und den daraus resultierenden Anpassungen ans tägliche Leben komplett anders und teilweise unwirklich. Für mich war es die wohl eindrücklichste „Stadt“ in welcher ich jemals Zeit verbringen durfte, weshalb es sicher nicht das letzte Mal sein wird, dass ich Svalbard besuche.


Dieser Tripreport besteht bisher aus folgenden Teilen:

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