Lufthansa verklagt No-Show Passagier | Interview mit Dr. Matthias Böse

Der Musterfall sorgt für großes Aufsehen, vor allem weil viele Vielflieger gerne dieses Schlupfloch nutzen. Müssen wir nun in Zukunft darauf verzichten und teure Tickets ab Deutschland kaufen? Kann es sogar passieren, dass Vielfliegeraccounts wie in den USA geschlossen werden? Dr. Matthias Böse (Kanzlei Franz in Düsseldorf), der Hauptbevollmächtigter im heiß diskutierten Fall hat sich etwas Zeit für uns genommen und einige Fragen beantwortet.

Interview mit Dr. Matthias Böse | Das Interview

Lieber Matthias, danke dass du dir die Zeit nimmst uns ein paar Fragen zu dem aktuellen Fall zwischen Lufthansa und einem Passagier zu beantworten.

– Kannst du uns kurz den konkreten Fall im Bezug auf Strecke und Reiseklasse schildern? Uns interessiert auch, falls du das weißt, wie der konkrete Preisunterschied mit einem Abflug aus Deutschland gewesen wäre.
Der Mandant ist in der Business Class von Oslo über Frankfurt nach Seattle und zurück geflogen. In Frankfurt stieg er aus und flog auf separatem – bezahlten – Ticket von LH nach Berlin. Der Berlin-Ticket wurde rund einen Monat nach dem ersten Flug gebucht, da sich die Reisepläne meines Mandanten änderten. Die Preisunterschiede bei C-Tickets ab Skandinavien kann ich Euch nicht sagen. Im dortigen Fall wäre der Aufpreis für einen Flug auf dem Rückflug nur bis Frankfurt bei rund 2.100,00 € gewesen, den Lufthansa nun einklagt.
– Die erste Instanz wurde ja bereits von Euch gewonnen. Kannst du uns trotzdem einmal kurz in Stichpunkten erzählen, warum die Forderung von Lufthansa aus Eurer Sicht unzulässig ist?
Durch das AGB-Recht sind Klauseln in AGB nicht wirksam, die intransparent, überraschend oder anders einseitig benachteiligend sind. Die damalige Klausel der Lufthansa ist gleich aus mehreren Gründen aus unserer Sicht unwirksam.
  • Sie ist intransparent, weil der anfallende Aufpreis für den Passagier bei Vertragsschluss nicht klar ersichtlich wird (und in diesem Fall massiv ausfiel)
  • Sie ist überraschend, denn wer weniger Leistung abnimmt, erwartet nicht, dafür mehr zahlen zu müssen
  • Sie benachtiligt den Passagier unangemessen, denn sie greift auch, wenn der Passagier das letzte Leg unfreiwillig nicht in Anspruch nimmt (Krankheit, aber auch zum Beispeil, weil der Vor-Flug verspätet war)
  • die Klausel ist unsauber formuliert, da an anderer Stelle der AGB Regelungen enthalten sind, die dieser Regelung widersprechen
Das Gericht muss dabei nur einen einzigen Punkt aufgreifen, um die Klage abzuweisen und hat sich in der ersten Instanz auf die mangelnde Transparenz der Regelung gestützt.
– Mit welchen Gegenargumenten hat Lufthansa hierzu Berufung eingelegt?
Die Berufungsbegründung liegt noch nicht vor. In der ersten Instanz hat sich Lufthansa auf die Cross-Ticketing Entscheidung des BGH abgestellt, wonach Airline-Tarifsysteme grundsätzlich schutzwürdig sind und die Airline in ihren AGB verlangen kann, dass ein Passagier, der das erste Segment eines Tickets verfallen lässt, einen Aufpreis zahlen muss, um den Rest des Tickets nutzen zu können. Einerseits ist das nicht vergleichbar mit der Nachberechnung für ein Verfallenlassen am Ende eines Tickets. Hier steigt jemand in einen Anschlussflug und soll plötzlich das x-fache des eigentlichen Flugpreises zahlen. In dem Cross-Ticketing Fall war es nur so, dass die Airline sagte: Dein bisher gezahltes Geld ist nun einfach weg, wenn Du nicht noch nachzahlst, der „Schaden“ war also auf den bereits gezahlten Ticketpreis begrenzt. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass das Klageverfahren von Lufthansa recht lieblos betrieben wurde.
– Das Verfahren findet in Deutschland statt, das Ticket wurde allerdings im Ausland gekauft. Warum ist dies so? Spielt hier unter Umständen die unterschiedliche Rechtssprechung in verschiedenen Ländern für den Passagier eine Rolle?
Das Gericht ist nach der EuGVVO zuständig und hat nach der Rom-I-Verordnung deutsches Recht anzuwenden. Das hängt hier vom Wohnsitz des Passagiers und dem Sitz der Airline ab. Und ja: Deutsches Recht ist sehr verbraucherfreundlich.
 
– Gibt es Informationen dazu, warum gerade dieser Passagier als „Musterprozess“ gewählt wurde?
Da mein Mandant bereits vor der Klageerhebung durch mich anwaltlich vertreten war, hätte ich an Stelle der Lufthansa vielleicht einen einfacheren Fall gewählt. Ich kann nur vermuten, dass der Umstand, dass zur gleichen Reisezeit zwei Tickets für den Passagier bei der Lufthansa im System bestanden, eine besondere Aufmerksamkeit erzeugt hat. Wäre unser Mandant von Frankfurt aus mit der Bahn nach Berlin gefahren (und hätte nicht der Lufthansa ein zweites Ticket bezahlt), wäre es vermutlich nicht zu dieser Klage gekommen, die nach meinen Informationen auch bisher einzigartig ist.
– Wenn Lufthansa vermeiden will, dass günstige Tickets ab dem Ausland gebucht werden, wäre dann nicht der logische Schritt Residence-Tickets einzuführen, welche es Bürgern mit deutscher Staatsangehörigkeit verbieten günstige Tickets mit Start im Ausland zu kaufen?
Einerseits sehe ich hier rechtliche Hürden, die solche Hürden im EU-Binnenmarkt verhindern dürften. Andererseits ist es auch ein praktisches Problem: Wie soll dieser Umstand – sicher – im Buchungsprozess geprüft werden? Auch hätte eine Airline, die so vorgeht, ein starkes Wettbewerbsproblem, da in gängigen Metasuchmaschinen und auch bei Onlinereisebüros nicht ohne weitere Zusätze plakativ mit solchen Tarifen geworben werden dürfte. Lufthansa würde schlicht im Wettbewerb schlecht aussehen.

– In den USA gibt es momentan ein ähnliches Thema, da hier die Airlines gegen so genannte Hidden-City Buchungen vorgehen. Hier wird den Passagieren mit der Schließung ihrer Vielfliegeraccounts gedroht, wenn sie keine Nachzahlung leisten. Ist dies auch ein denkbares Verfahren in Europa?

Um beim Beispiel Lufthansa zu bleiben: Die Miles & More GmbH ist ein unabhängiges Unternehmen und kann grundsätzlich einen Vertrag mit einem Meilensammler ordentlich kündigen.
Ob die Kündigungsfrist von vier Wochen für statuslose Teilnehmer, wie sie derzeit in Ziff. 3.1.1. der Miles & More AGB vorgesehen ist, rechtmäßig ist, halte ich für sehr fraglich. Wer auf einem gut gefüllten Meilenpolster sitzt, wird diese Meilen vermutlich nicht binnen kürzester Zeit verbrauchen können.

Auch dürfte sich bei einer -grundlos möglichen Kündigung – die Frage stellen, ob nicht vielleicht doch auch personenbezogene Daten des Passagiers ihren Weg zur Miles & More GmbH geschafft haben, die unter Geltung der EU-Datenschutzgrundverordnung dort nichts zu suchen haben. Kurz: Die theoretische Möglichkeit besteht. In Anbetracht des bereits aktuell weltweit sehr großen Medieninteresses an diesem Verfahren halte ich persönlich das aber für ein grundsätzlich professionell agierendes DAX 30-Unternehmen für eher fernliegend.

Will Lufthansa hier ein Exempel statuieren?

Das mag anfangs wohl die Idee gewesen sein. Als das Gericht in der ersten Instanz aber erkennen ließ, dass die Klage keinen Erfolg haben dürfte, war Lufthansa sehr darum bemüht, einerseits Zeit zu gewinnen und andererseits die Klage zurückzunehmen, um vermutlich das zu vermeiden, was nun geschehen ist: Negative Publicity.. Dem hat mein Mandant aber widersprochen, um hier für Rechtssicherheit zu sorgen.

Interview mit Dr. Matthias Böse | Frankfurtflyer Kommentar

Wir haben uns sehr über die Möglichkeit dieses Interviews mit Dr. Matthias Böse gefreut – Danke hierfür!

In den Medien wird oft nur ein Teil der Geschichte kommuniziert, weswegen das Interview bei uns auf jeden Fall Licht ins Dunkle gebracht hat. Wir sind sehr gespannt auf das weitere Verfahren und werden hier natürlich weiter berichten.

12 Kommentare

  1. Ich glaube, wir sollten Lufthansa Erfolg wünschen.
    Warum?
    Sollte Lufthansa unterliegen, wäre das Verfallenlassen des letzten Legs legitim. Das würden dann viel mehr Kunden nutzen. Die Konsequenz wäre, dass diese Sonderangebote meinethalben mit Abflug in CPH teurer oder knapper (oder beides) würden.
    Der konkrete Kunde hat sich einfach extrem unklug angestellt und will jetzt nicht die Kosten der eigenen Ungeschicklichkeit übernehmen. Klar, kann jedem passieren, wir laufen ja nicht mit eingebauter Datenbank durch die Gegend. Trotzdem eigene Schuld.
    Die bisherige Grauzone, das letzte Teilstück rein zufällig zu verpassen (mit welcher Begründung auch immer) war ganz sicher bekannt und vermutlich zähneknirschend geduldet.
    Jetzt sind die schlafenden Hunde hellwach.

  2. Selbst schuld, das weiss man doch das alle Legs abgeflogenal werden sollen, auch für alle anderen.. Legs abfliegen und den returnflug vom gewählten abflugor antreten, alles andere ist sonderbar…

  3. Aber es ist doch schon ein Absurdum an sich, dass man einen Haufen Kohle sparen kann, für eine gleich Leistung.
    Ich habe bei mir momentan ganz aktuell den Fall, dass ich einen Flug nach Asien in Planung habe.
    Mint einer großen internationalen Airline würde mich der Flug (für zwei Personen) Xtausend € kosten – den Betrag nehmen wir mal als 100%!
    Wenn ich aber nun als Startflughafen nicht FRA, HAM, DUS oder MUC wähle, sondern OSLO, dann spare ich beinahe 40%!!!
    OBWOHL der Flug von Olso erstmal über Frankfurt oder München führt und dann die Fernreise antritt!!??
    Entschuldigung, aber da ist doch schon der Fehler im System.
    Wenn ich nun noch die An-/Abreise nach/von Oslo, inkl einer Hotelübernachtung, für jeweils zwei Personen hinzurechne, dann spare ich immer noch mehr knapp 30%!!, auf den „Originalpreis“ von einem Deutschen Flughafen ( zu dem ich in meinem Fall auch erstmal anreisen muss).

    Auch im Supermarkt, oder im alltäglichen Leben, gebe ich nicht freiwillig und ohne Not mehr als 30% mehr Geld für die gleiche Leistung aus, als unbedingt nötig.
    Und hier bekomme ich für 30% weniger, sogar noch MEHR Leistung, weil ich mehr Meilen und mehr Flugsegmente sammel ( sind ja schließlich in einem Flugforum) und mit meiner Frau noch einen Tag in Oslo Kurzurlaub machen kann…

    Tut mir leid, da habe ich kein Mitleid mit der Fluggesellschaft, dann müssen sie anders kalkulieren oder ihre Gewinnspanne überdenken, wenn sie im europanahem Raum konkurenzfähig bleiben wollen.

    Meine Meinung, ich kann natürlich auch falsch liegen

    • Das ist doch ganz normale Marktwirtschaft.
      British Airways bietet meinethalben London New York für 3000 € an (jetzt mal ganz willkürlich). Wenn ich jetzt als Swiss Kunden von British Airways abwerben möchte, dann sicher nicht zu dem genannten Preis. Diesen Preis biete ich als Swiss zwischen Zürich und New York als Direktflug. London New York via Zürich muss billiger sein, warum sonst sollte ich als Kunde die Umsteigeverbindung wählen? Dass der Aufwand für die Fluggesellschaft größer als für die Direktverbindung ist, spielt bei diesen Überlegungen keine Rolle.
      Warum jetzt Swiss mit British Airways auf der genannten Route in den Wettbewerb tritt ist eine andere Frage. Das machen sie natürlich nur, wenn absehbar ist, dass die Direktverbindung für 3000 € nicht ausgelastet wird.
      Selbstverständlich ist im genannten Beispiel Swiss eben nicht an Schweizer Kunden interessiert, die das Stück zwischen London und Zürich dann einfach „vergessen“. Die Schweizer Kunden sollen ja die 3000 € für den Direktflug zahlen.
      Für Touristen ist diese Denkweise der Fluggesellschaften richtig schön. Es kommt ja nicht unbedingt auf die schnellste Verbindung an. Es gibt ja durchaus ausländische Fluggesellschaften, die es auf den deutschen Markt abgesehen haben, Richtung Japan beispielsweise Finnair/JAL, SAS oder Air China. Da entfällt dann auch gleich die Frage, die letzte Teilstrecke verfallen zu lassen, weil man die ja ohnehin braucht. 🙂
      Ganz nebenbei übrigens vielen Dank an dieses und ähnliche Foren, solche Lockvogelangebote in schöner Regelmäßigkeit herauszusuchen.

  4. Vor „Inbetriebnahme“ der Einheitswährung Euro gab es diese Möglichkeit bereits. Es gab jedoch noch kein Internet, und so war ich gezwungen, mein Ticket persönlich vor Ort zu kaufen!
    So war ein Ticket ab ZRH nach Portugal viel teurer, als wenn das Ticket für den Heimflug in Lisboa mit Escudos bezahlt wurde…..und noch etwas kam dazu: Das Billett war ein Jahr lang gültig, Fullfare und in Business-Class. Konnte also mit etwas Planung und im Rahmen der erlaubten Meilen noch einige weitere Flüge dranhängen. Durfte den gleichen Airport jedoch nur 1x anfliegen, es sei denn im Transit für 24 Stunden. Das war jedoch kein Problem, denn es gab ja noch BSL, GVA, BRN, LUG, SIR in der Nähe.
    Auch STR und FRA waren zwecks Einhaltung der Rules gut per Bahn zu erreichen.
    Auf diese Art etliche „Alpenflüge“ LUG – GVA, LUG – BRN oder LUG – BSL mit Crossair Metroliner absolviert.

  5. Ich kaufe diese Tickets i.d.R über OTAs und suche mir nach Möglichkeit für das letzte Leg einen Codshare Flug aus. Würde in einem solchen (selbstverständlich rein hypothetischen) Fall LH nun die OTA verklagen für das letzte Segment welches ich auf SAS als Carrier nicht geflogen bin bzw. der OTA die Differenz in Rechnung stellen. Und die OTA würde dann auf mich Regress nehmen? Und wie stehts da wohl mit meinem Ticket nach LAX, welches zwar zu 100% (alle vier Segmente) von LH durchgeführt wird aber auf dem UA Stock (016-) ausgestellt wurde? Wird mich hier UA verklagen für das letzte LH Leg welches ich möglicherweise nicht mehr fliegen werde weil mir ausgerechnet bei der Zwischenlandung schwindlig wird und ich der Fluggesellschaft einen Ohnmachtsanfall während des Fluges ersparen möchte. Und müsste ich mir in einem solchen Fall von einem Flughafenarzt den Schwindelanfall attestieren lassen um nicht für meinen krankheitsbedingten Now-show mit 3500 Euro belangt zu werden. Der gewitzte Anwalt von Lufthansa möge doch mal bitte einige dieser Szenarien erläutern bevor man wild und ohne die geringste Aussicht auf Erfolg drauflos klagt.

  6. Es wird wie immer laufen…
    Lufthansa wird den Prozess nicht bis zum Ende durchziehen, kurz vor Urteil wird man sich einigen, natürlich rein aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.

  7. Hallo, ich sehe tatsächlich keinen Schaden den die Lufthansa einklagen kann. Die Frage stellt sich mir wiefolgt: Welcher konkrete Schaden in EURO ist der Lufthabsa denn entstanden? 0,00€. Es ist ja schließlich alles bezahlt worden.
    Änhlich verhält es sich wenn Besitzer von VW Fahrzeugen mit der sogenennten Schummelsoftware den Konzern auf Schadensersatz wegen Wertverlust verklagen wollen solange sie das Fahrzeug noch fahren. Da ist auch kein Schaden feststellbar. Hier würde der Schaden erst entstehen wenn das Auto verkauft wird. Und dann müßte der ehemalige Besitzer nachweisen, dass er aufgrund der Schummelsoftware einen konkreten Betrag weniger erhalten hat…
    Ehrlich gesagt: Leben gefähredet eben immer die Gesundheit.
    MfG Thomas Markt

  8. Vie viele 0,0001 Prozent solcher no-show Passagiere gibt es denn? Wer tut sich das denn an, dass er erstmal nach Oslo oder Athen oder wo auch immer hinfliegt um dann wieder daheim umsteigend wohin zu kommen nur um in der Businessklasse sitzen zu können. Das ist doch eher ein verschwindend geringer Anteil an Passagiere, würde ich vermuten. Wenn dieser Trick wieder wegfällt werden diese wohl eher wieder in der Holzklasse direkt fliegen. Ist man ohnehin schneller und sein CO2 Abdruck ist auch um einiges besser. Wenn sich die LH da nicht ins eigene Fleisch schneidet. Irgendwie kleinkarierter als der gefinkelte, kleinkarierte Passagier.

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