Ask the Flight Attendant ✈ Heute: Handgepäck

Ich reise gerne, oft und viel, nutze jede Gelegenheit dafür und manchmal geht es mehr um den Weg, als das Ziel: Fliegen! Ich liebe es zu fliegen und das verbindet uns alle hier. Und wenn ich nicht gerade Urlaub mache, fliege ich auch. Denn diese Leidenschaft ist mein Beruf und ich kenne dadurch auch den Blick von der anderen Seite. Diese Sicht möchte ich an dieser Stelle gerne mit Euch teilen. Heutiges Thema: Handgepäck – die unendliche Geschichte

Ein treuer Leser hat mich gebeten, das Thema Handgepäck anzuschneiden. Ohje dachte ich, das könnte ein ganzes Buch werden. Aber zumindest müssen wir uns jetzt in Zeiten von Corona darüber keine Sorgen machen, dass dieses Thema zum Problem werden könnte. Dachte ich. Schließlich gibt es gerade ziemlich viel Platz in der Kabine eines Flugzeugs. Oder?

Falsch gedacht! Denn erstens sind die Maschinen zur Zeit nicht alle leer. Zweitens: Das Handgepäck wird selbst bei nicht ausgebuchten Flügen zum großen Thema. Erst letzte Woche bin ich als Passagier innerhalb von Deutschland geflogen und hätte für den Unterhaltungswert noch etwas auf das Ticket darauflegen müssen. Ich hatte meinen Platz eingenommen und konnte das Geschehen beobachten. Eigentlich wollte ich gar nicht hinsehen, aber ich musste einfach. Ich habe es zwar schon in allen Variationen viele Male zuvor genießen dürfen, dennoch war es wieder faszinierend wie ein Filmklassiker á la Titanic. Und trotz aller Hoffnung, dass es vielleicht dieses eine Mal anders ausgehen könnte, ist das Schiff wieder untergegangen. Der Rollenkoffer wollte einfach nicht ins Ablagefach passen.

Wer hat Schuld daran?

Ein Jammer. Dabei sind die Airlines selbst Schuld! Was kaufen sie auch so enge Flugzeuge? Wieso sind sie so inkonsequent beim Durchsetzen der Regeln?

Hinzu kommt, dass keiner Lust hat nach dem Flug ewig am Gepäckband zu warten. Insbesondere dann wenn noch ein dringender Termin ansteht. Wenn die Ausgabe so lange wie der Flug selbst dauert, würde ich meinen Trolley auch gerne direkt bei mir in der Kabine haben wollen. Ich verstehe daher jeden Geschäftsreisenden oder Kurztrip-Passagier, der nie wieder 30 Minuten auf seinen Koffer am Band warten möchte. Gerade an den großen Flughäfen dauert es regelmäßig gefühlte Ewigkeiten.

Nächstes Problem: Das Tarifsystem der Fluglinien verschärft die Lage zusätzlich. Ist doch klar was dabei herauskommt, wenn Aufgabegepäck extra berechnet wird. Man versucht alles in das Handgepäck zu stopfen. Ich kann allerdings berichten, dass es Handgepäcksprobleme schon zu Zeiten gab, als noch in jedem Ticket der großen Airlines ein aufgegebener Koffer inklusive war.

Damals fragte ich gelegentlich beim Boarding ironisch: „Kennen Sie schon unseren kostenlosen Gepäckservice?“ Gerne begegnete mir darauf ein verdutzter Blick mit einem verwunderten „Nein“…

Die enge Bestuhlung ist auch nur bedingt eine Erklärung. Zu meinen Anfangszeiten als Flugbegleiter habe ich auf Maschinen gearbeitet, die heute bei der gleichen Fläche ganze 30 (!) Sitzplätze weniger hatten. Und dennoch kam es regelmäßig zu Arien mit Koffern, Taschen, Rucksäcken, Trolleys, Wintermänteln, Topfpflanzen, Gemälden, Instrumenten (…)

Der perfekte Ort

Wenn man beim Boarding nicht zu den ersten Passagieren gehört, die das Flugzeug betreten, kann es schnell haarig werden. Denn das geliebte Handgepäcksstück hat bereits seinen vom Besitzer sorgfältig ausgewählten Bestimmungsort in der Kabine. Es muss bei den meisten genau in der Reihe sein, in der man auch sitzt. Nicht davor, nicht dahinter und schon gar nicht auf der anderen Seite des Ganges. Seltsam eigentlich. So könnte man das geliebte Stück doch immer im Blick haben, sollte ein gemeiner Mitreisender während des Fluges auf die Idee kommen dort etwas zu suchen.

Auf keinen Fall kommt das Stück aber unter den Vordersitz! Selbst bei Kindern oder Fluggästen, die es sich aufgrund ihrer Körpergröße leisten könnten dort einen Koffer zu verstauen. Das ist noch das letzte bisschen persönlicher Freiraum, den gibt man ungern her.

Ja und wenn der gewünschte Platz für das geliebte Stück gefunden wurde, wird der Gegenstand noch gestreichelt und geküsst und dann kann sanft das Fach geschlossen werden. Die letzten Gäste steigen ein, die Gepäckfächer quellen über, nicht einmal ein Streichholz würde noch irgendwo reinpassen, da wagt es doch tatsächlich einer noch mit seiner eigenen Stopf-Quetsch-Methode Platz zu schaffen. In solchen Momenten werden Erwachsene dann gerne zu Kindern, wir müssen hin und den Streit schlichten.

Die Ansagen bitte zügig einzusteigen und das Handgepäck auch unter dem Vordersitz zu verstauen hört keiner, bis man die Tonlage ändert und mit dem Ausladen vereinzelter Koffer droht. Das Verladen kann nämlich dauern und alle müssten dann unter der Verspätung leiden. Gerne „verschwinden“ in solchen Momenten die betroffenen Koffer dann wie durch ein Wunder.

Die Milchmädchenrechnung

Ein Flugzeug in der Größenordnung einer Boeing 737 oder eines Airbus 320 bietet Platz für bis zu 200 Passagiere. Und ungefähr 110 Rollenkoffern. Die Rechnung geht also nicht auf. Zumindest nicht auf Flügen mit hohem Aufkommen an Handgepäck. Das ist zum Beispiel auf innerdeutschen oder kurzen Flügen zu Business-Metropolen häufig der Fall.

Wie so oft auf dieser Welt wird das Drama durch Unbeteiligte gelöst. Es gibt vereinzelt Gäste, die maximal eine Zeitung in der Hand halten, wenn sie das Flugzeug betreten. Sie sind unauffällig und haben mit dem Problem scheinbar nichts zu tun. Aber sie retten alle. Auf diese Spezies kommen aber leider wiederum einige, die es massiv übertreiben und mit dem halben Hausstand an Bord kommen.

Natürlich haben sie einen sehr guten und wichtigen Grund dafür, selbstverständlich verstehen das alle. Am Schalter war eine lange Schlange, es sind Medikamente im Trolley die das Überleben auf der einen Stunde Flug sicherstellen, sie haben eine goldene Platinumkarte mit Diamant-Status, der sie dazu berechtigt, alles machen zu dürfen, sie machen das heute nur als absolute Ausnahme und außerdem kennen sie die Regeln sowieso besser als alle anderen hier.

Dreistigkeit siegt und selbst wenn es einmal Probleme geben könnte, geht es auf den nächsten zehn Flügen wieder gut. Auch wenn man kein Problem damit hat, dass das überdimensionale Handgepäck im Frachtraum verladen wird, kommt man mit Dreistigkeit weiter. Zumindest bei den klassischen Carriern. Dann wird das Stück in letzter Minute aus der Kabine entfernt und in den Frachtraum des Flugzeuges verladen. In dem Fall hat man dann sogar die Gebühr für die Aufgabe am Check-In gespart.

Was kann man tun?

Billigflieger unterteilen das Handgepäck mittlerweile in kleine und große Stücke. Bei Ryanair, WIZZ & Co gehört der Trolley, der zwar der Größe als Cabin Lagguage entspricht, schon lange nicht mehr zur Inklusivleistung. Dort wird man zur Kasse gebeten. Bei der Buchung, am Flughafen oder während des Einsteigens – es gibt kein Erbarmen und die Gebühr steigt je näher der Abflug rückt.

Praktisch gelöst ist es bei kleineren Maschinen, wo es das „Delivery at Aircraft“-Verfahren gibt und man das Gepäck selbst vor dem Betreten abstellen kann. Ähnlich löst es easyJet und bietet das an deren Hauptflughäfen auch für größere Maschinen an, dies müssen aber die Gegebenheiten am Flughafen zulassen.

Kulanz ist ein gutes Mittel. Einige Gesellschaften wie British Airways verschicken am Abflugtag allen Passagieren mit reinem „nur Flug“-Tarif eine E-Mail und weisen auf die hohe Buchungslage des Fluges hin. Gleichzeitig wird angeboten das Handgepäck im Vorfeld am Schalter kostenlos einzuchecken.

Eine Möglichkeit wäre es wohl die Passagiere zu belohnen, die sich an die Regeln halten. Aber ich wüsste nicht wie man das umsetzen könnte. Ich habe bereits zahlreiche Task Forces, Hinweisschild-Wälder, Aufsteller mit Messrahmen, Plakate, Videos am Gate, rosa Aufkleber, blaue Zettel und grüne Tags erlebt mit denen man versucht hat Passagiere zu erziehen – so richtig hat bisher nichts funktioniert.

Einige Airlines geben sich geschlagen und haben für die Zukunft bei den Herstellern Maschinen mit neuartigen Fächern bestellt. Diese erlauben es Trolleys hochkant zu verstauen und gleichzeitig leichter an die Ablagen zu kommen.

Der Mensch hängt halt sehr an seinem Handgepäck. Das sehe ich nicht nur jedes mal beim Boarding, sondern auch bei den Schulungen für Notfälle. Wenn wir Unfälle und Evakuierungen analysieren, kann man beobachten, dass Handgepäck so wichtig wie das Überleben selbst ist. Es gibt Videos, die Passagiere zeigen, die aus qualmenden Maschinen auf den Notrutschen mit Rollenkoffer im Schoß hinabgleiten. Dass diese die empfindlichen Evakuierungshilfen leicht beschädigen oder nachfolgende Passagiere verletzt werden könnten, spielt in dem Moment keine Rolle.

Oder den Betroffenen ist es einfach nicht bewusst. Hersteller von Flugzeugkabinen haben schon länger Pläne in den Schubladen, die Gepäckfächer zentral verschließen zu können. So würden bei einem Notfall die Ablagen verschlossen bleiben. Ich kann mir bereits gut vorstellen, was das Adrenalin in dem Fall mit den Passagieren machen könnte…

Diese abschließbaren Fächer würden dafür sorgen, dass vielleicht sogar im Normalfall nach der Landung auch mal alle sitzen bleiben bis die Dinger aufgehen. Wunschvorstellung. Ich würde mir daher gerne einen Flugverlauf in Italien ansehen. Dort wurde jetzt die Nutzung der Ablagefächer in Flugzeugen verboten. Grund: Das Coronavirus und die Ansteckungsgefahr. Das Ein- und Aussteigen dauert der italienischen Luftfahrtbehörde einfach zu lange und mit der radikalen Maßnahme versucht man das Übertragungsrisiko zu minimieren. Handgepäck muss dort also zwingend unter den Vordersitz – oder ganz klassisch am Schalter aufgegeben werden.

Ask the Flight Attendant | Frankfurtflyer Kommentar

Handgepäck. Never ending Story. Ursache für Verspätungen, Unregelmäßigkeiten und hohen Kosten. Jeder von Euch hat sicher gute Vorschläge, aber es hapert an der Umsetzung. Mit meinen Kollegen philosophiere ich manchmal während des Boardings was man tun könnte und wir zeigen uns dabei höchst kreativ.

Tief in uns drin wissen wir aber, dass es nicht funktionieren wird und erwachen aus dem Wunschtraum. Radikale Lösungen wie in Italien sind eine Ausnahme und bleiben wohl von kurzer Dauer. Handgepäck ist ja auch eine Serviceleistung und diese einzustellen, würde auch bedeuten, Kunden zu vergraulen.

1 Kommentar

  1. Einfach diese Metallehren, wo genau <gepäckstück rein geht, dass so groß wie ein Pilotenkoffer ist benutzen! Was nicht reingeht, bleibt da oder geht in den Laderaum – genen Bezahlung. Dass gibt an Anfang Mecker – nach ein paar Wochen hat sich das gelegt und dann weiß es auch der dümmste Mallorcapax. Und die Nackenhörnchen kommen da auch in dieses Volumen hinein.
    Hinweis auf AGB, IATA oder ICAO am Schalter und Gate. Ansonsten Buchungsportale, Reisebüros usw. Das Rauchen abschaffen ging doch auch irgendwann.

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