Whistleblower erklärt warum Tür aus Boeing 737MAX-9 riss

(c) Alaska Airlines

Am 5. Januar riss eine eigentlich fest verbaute Notausgangstür aus einer zehn Wochen alten Boeing 737MAX-9 von Alaska Airlines. Seitdem unterliegen alle Boeing 737MAX-9 einem Flugverbot während die FAA (Federal Aviation Administration) und das NTSB (National Transportation Safety Board) den Vorfall untersuchen. Überraschend hat sich offenbar ein Whistleblower an die Öffentlichkeit gewandt und detailliert beschrieben, was bei der Fertigung des betroffenen Flugzeugs schiefgelaufen ist.

Informationen eines Whistleblowers

Da es sich hier um anonyme Informationen handelt, lassen sich diese nicht unabhängig verifizieren. Wir halten diese jedoch für plausibel und teilen sie deswegen hier mit Euch. Die Aussagen des Whistleblowers erschienen als Kommentar zu einem Artikel der Leehamnews. Diese Publikation hat die Angaben des Whistleblowers mit eigenen Kontakten bei Boeing abgeglichen und zeigte sich überzeugt, dass die Angaben des Whistleblowers interne Systeme und Prozesse bei Boeing zutreffend wiedergeben.

Boeing 737 MAX 10 (c) Boeing

Warum riss die Tür aus dem Flugzeug?

Das Flugzeug mit der Registrierung N704AL hatte eine Konfiguration, bei der die linke mittlere Notausgangstür durch eine Verankerung permanent mit dem Flugzeug verbunden ist. Dieser Stecker wiederum wird durch vier Bolzen gesichert, die verhindern sollen, dass sich diese Verankerung lösen kann. Dies ist notwendig, da die Konstruktion, in der die Tür verankert ist, aufgrund der Luftdruckunterschiede, die durch den Kabinendruck entstehen, „arbeitet“ und sich bewegt.

Bei der Unglücksmaschine fehlten diese vier Bolzen, was auch aus der Fertigungsdokumentation des Flugzeugs hervorgeht.

Die Notausgangstüren werden vom Zulieferer Spirit bereits fertig montiert geliefert, so dass Boeing eigentlich nur noch eine Endkontrolle durchführen müsste, in der praktisch nur noch selten minimale Fehler auffallen dürften.

Allerdings fand Boeing im letzten Jahr bei diesem Check insgesamt fast 400 Fehler. Die Zahl ist für eine routinemäßige Abschlussprüfung viel zu hoch. Im besten Falle hätte Boeing die Produktion angehalten und beim Zulieferer darauf gedrungen, die Fehlerquote erheblich zu senken.

Stattdessen lief die Produktion weiter.

 

Produktion des Unglücksflugzeugs

Bei der Unglücksmaschine wurde am 31. August beim Check der mittleren Notausgangstüren Produktionsdefekte entdeckt. Allerdings auf der rechten Seite des Flugzeugs und nicht auf der linken. Bereits hier könnt Ihr erkennen, dass die Qualitätssicherung an dieser Stelle nicht ausreichend war. Allerdings sind bei der Produktion eines Flugzeugs viele Checks redundant, so dass ein Bauteil nicht nur einmal, sondern mehrere Male inspiziert wird. Schließlich ist ein Flugzeug eine hochkomplexe Maschine, der Menschen regelmäßig ihr Leben anvertrauen.

Am 1. September fiel bei einem anderen Arbeitsschritt (und einem anderen Boeing-Team) der Fehler an der linken mittleren Notausgangstür auf. Das ist insofern nicht ungewöhnlich, da je nach Arbeitsschritt die Verweildauern von Flugzeugen bei bestimmten Teams recht kurz sein können.

Boeing überwacht Produktion mit verschiedenen Computerprogrammen

Der Baufortschritt und die Abarbeitung von Fehlern werden bei der 737-Produktion in zwei Systemen festgehalten. Das erste System heißt CMES. Das ist das verbindliche System, das für die Abnahme des Flugzeugs entscheidend ist. Daneben gibt es noch das SAT System. Das ist deutlich informeller und soll die Produktion begleiten und den Austausch von Teams arbeitsschrittübergreifend vereinfachen. Allerdings ist es eher mit einem Forum oder mit Slack vergleichbar und ist eben nicht das maßgebliche System, um Fehler festzuhalten und deren Abarbeitung nachvollziehbar zu kontrollieren.

Boeing 737 MAX 7 (c) Boeing

Fehler wird zunächst im falschen System nachgehalten

Am 1. September findet ein Team von Boeing einen Fehler bei der Konstruktion der linken mittleren Notausgangstür und meldet diesen über SAT an ein Team des Herstellers Spirit. Da Spirit für so viele Produktionsdefekte verantwortlich ist, gibt es sogar Spirit Teams vor Ort, die in den Werkshallen von Boeing die entdeckten Fehler bei Zuliefererteilen von Spirit reparieren.

Spirit bescheinigt, den Fehler behoben zu haben und bittet einen Mitarbeiter der Qualitätssicherung von Boeing um Abnahme.

Bei dieser Kontrolle fällt auf, dass der in SAT angehmahnte Defekt entgegen der Behauptung von Spirit nicht behoben wurde. Zudem erkennt der Mitarbeiter von Boeing, dass eine Dichtung an der Konstruktion beschädigt ist. Dies wird korrekterweise in CMES vermerkt, womit der Fehler endlich im „richtigen“ System auftaucht.

Für den Austausch der Dichtung fehlen dann anscheinend die passenden Teile, was zu wilden Diskussionen in SAT führt. Da Boeing 737 relativ zügig produziert werden, droht nun eine Verzögerung im Produktionsprozess, über den das Management von Boeing offenbar wenig erfreut war.

Das beschädigte Siegel

Ohne Dichtung kann die Produktion des Flugzeugs nicht abgeschlossen werden. Daher muss sie ausgebessert werden. Die Schwierigkeit ist anscheinend, dass diese Dichtung nicht ersetzt werden kann, ohne die Verankerung der Notausgangstür zu entfernen.

Schließlich kreist die Diskussion in SAT darum, ob man nur die Dichtung ersetzen könne oder die Tür komplett austauschen müsse. In beiden Fällen muss jedoch die Verankerung (und damit auch die in Rede stehenden Bolzen) der Tür gelöst werden, um die notwendige Reparatur durchzuführen.

Im Endergebnis entscheidet man sich bei Boeing für den minimalinvasiven Eingriff und bessert bei der Dichtung lediglich nach und ersetzt nicht die komplette Tür, da das Ersetzen der Tür zu einer Rückstellung der Maschine im Fertigungsprozess geführt hätte. Denn der Austausch der Tür hätte zur Wiederholung von vielen bereits abgeschlossenen Qualitätschecks geführt.

Jetzt bedient man sich einer weiteren Prozessverkürzung und flickt die Dichtung, ohne den Vorgang komplett zu dokumentieren, denn bereits dieser Vorgang hätte aufgrund der benötigten Arbeitsschritte den Qualitätssicherungsprozess ein paar Schritte zurückgeworfen und damit mehr Zeit gekostet.

Durch dieses zeitoptimierte Vorgehen hat man sich die Dokumentationserfordernisse erspart und konnte die Dichtung (wie auch immer) nachbessern oder neu abdichten.

Foto: Pixabay

Abschluss der Produktion

Da der Zulieferer die Abarbeitung der Mängel in den Systemen bestätigt hat und Boeing in der Endabnahme keine Schwachstelle bei der Dichtung vorgefunden hat, werden die entsprechenden SAT Einträge am 19. September geschlossen und das Flugzeug später an Alaska Airlines übergeben.

Die vier Bolzen liegen wahrscheinlich irgendwo im Werk in Renton rum und warten noch heute auf ihren Einsatz. Oder wurden irgendwann einfach achtlos entsorgt.

Whistleblower erklärt warum Tür aus Boeing 737MAX-9 riss | Frankfurtflyer Kommentar

Sollte dieser Bericht des Whistleblowers zutreffen, ist es schier unglaublich, wie verantwortungslos die Mitarbeiter verschiedener Firmen in der Flugzeugproduktion in Renton arbeiten. Anscheinend geht das Erreichen von Produktionszielen und irgendwelchen firmeninternen Messgrößen der Sicherheit vor.

Ob Besichtigungen der Abnehmer im Werk helfen, etwaige Störgefühle zu beseitigen dürfte nach dem Bericht des Whistleblowers mehr als fraglich sein.

Kurzfristig wird der Abnahmeprozess für Flugzeuge von Boeing wahrscheinlich umfangreicher als zuvor, damit etwaige Schlampereien hoffentlich frühzeitig entdeckt werden können.

Dank an Leehamnews.

3 Kommentare

  1. Der Fisch stinkt offenbar vom Kopf, aber wohl nicht nur.
    Wie ein Amerikaner mir letztlich so treffend in einer Diskussion schrieb: Bei Airbus bauen Ingenieure und Facharbeiter das Flugzeug zusammen, bei Boeing irgendwelche Hillbillies.

    • Das ist nur eine billige Polemik. Auch bei Airbus kommen Türen u.a. von Spirit und werden auch von denen nachgearbeitet. Auch Airbus hatte unzählige Vorfälle bei denen man vom Glauben abfallen könnte, ich erinnere hier zB. an den Absturz der A400M, MSN23 oder den Totalverlust der A340-600, MSN856 in Toulouse.

  2. Ist kaum zu glauben, da wohl der Fehler – besonders wenn er in der QS auffällt – wohl ein meldepflichtiger Vorfall wäre. sprich :Behörde muss informiert werden

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